Über das Unterbewusstsein machen wir uns nur selten Gedanken. Vielleicht haben wir eine schwammige Idee, von diesem mystischen Etwas, das einigen von uns wie ein schwarzes Loch vorkommen mag. Doch das Unterbewusstsein ist weitaus mehr als eine Sammelstelle für versteckte Emotionen, verdrängte Erinnerungen oder die Quelle der Intuition. Es ist in alle unsere Entscheidungen involviert. Es bestimmt mit, ob wir eine Bewegung ausführen und es bestimmt mit, wie wir in gewissen Situationen reagieren. Es wird durch persönliche Ereignisse und Erfahrungen in unserem Leben individuell geprägt. Wenn unser Unterbewusstsein entscheidet, folgt es also einer Art persönlichem Algorithmus unserer individuellen Hirnstrukturen. (1) Fast 90% unseres Gehirns arbeiten unterbewusst. Man kann also sagen, dass ein Großteil unseres Gehirns Teil des Unterbewusstseins ist. (1)
Seit Jahrzehnten versuchen Wissenschaftler mehr über das Unterbewusstsein zu erforschen. Am Anfang der 1980er Jahre wurde mit dem berühmten Libet-Experiment, des Psychologen Benjamin Libet, der freie Wille in Frage gestellt. In dem Experiment wurde herausgefunden, dass das Unterbewusstsein Entscheidungen schon einige Sekunden vor der Weiterleitung dieser an das Bewusstsein trifft. Libet zufolge, existiert der freie Wille daher nicht. (2) Nach heutigem Forschungsstand ist Libets Studie jedoch nicht mehr aktuell, denn neue Erkenntnisse über die Rolle des Unterbewusstseins konnten die von Libet gewonnenen Erkenntnisse für teilweise obsolet erklären.
In einer im Jahr 2016 veröffentlichten Studie, an der auch der Hirnforscher und Professor der Charité Berlin John-Dylan Haynes beteiligt war, wurde die Erkenntnis gewonnen, dass Entscheidungen zwar im Unterbewusstsein getroffen werden, das Bewusstsein jedoch eine Art Vetorecht hat, mit dem es Entscheidungen des Unterbewusstseins zurückweisen kann. (3) (4) Das Veto muss jedoch im Laufe einer sehr kurzen Zeitspanne eingelegt werden. Nämlich nach der getroffenen Entscheidung des Unterbewusstseins (oder dem im Gehirn sichtbaren Bereitschaftspotential) und bevor das Handlungssignal in der jeweiligen Hirnregion ankommt. Wird ein bestimmter Zeitpunkt überschritten, wurde die Handlung bereits in Gang gesetzt und kann nicht mehr rückgängig gemacht werden, z.B. wenn ein Bewegungssignal bereits in den motorischen Hirnregionen angekommen ist. (4)
Viele Entscheidungen laufen unterbewusst ab, weil es sich um Gewohnheiten handelt. Würde jede dieser Handlungen unter Zuhilfenahme des Bewusstseins ablaufen, dann wäre der Mensch schon mit den kleinsten Nebensächlichkeiten überfordert. Genau deshalb nutzt es dem Menschen, dass er seine Brille abnehmen und putzen kann, ohne sich vorher viele Gedanken darüber zu machen und die Vor- und Nachteile gewissenhaft abzuwägen. Den meisten Abläufen des Unterbewusstseins werden wir uns nie bewusst und können uns diese noch nicht einmal bewusst machen. Doch es gibt Handlungsmuster, die wir uns ins Bewusstsein rufen können, um Gewohnheiten, die im Unterbewusstsein eingebrannt zu sein scheinen, zu verändern. Auch komplizierte Problemstellungen und Lernaufgaben werden bewusst verarbeitet. (1) Mehr als an einem bestimmten Ort in unserem Gehirn, befindet sich das Unterbewusstsein also in unserer Persönlichkeit, unseren Entscheidungen und unseren Handlungen.
Quellen:
(1) Dr. Joachim Bensel (1999): Lexikon der Biologie. Unterbewusstsein. Spektrum Akademischer Verlag Heidelberg. Online verfügbar unter https://www.spektrum.de/lexikon/biologie/unterbewusstsein/68591
(2) Benjamin Libet (1985): Unconscious cerebral initiative and the role of conscious will in voluntary action. Behav Brain Sci 8 (04), S. 529. DOI: 10.1017/S0140525X00044903
(3) Matthias Schultze-Kraft, Daniel Birman, Marco Rusconi, Carsten Allefeld, Kai Görgen, Sven Dähne et al. (2016): The point of no return in vetoing self-initiated movements. Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America 113 (4), S. 1080–1085. DOI: 10.1073/pnas.1513569112
(4) Felix Firme (2016): Hirnforschung in Berlin. Wie frei ist der Wille des Menschen wirklich? Berliner Zeitung, 26.01.2016. Online verfügbar unter https://www.berliner-zeitung.de/wissen/hirnforschung-in-berlin-wie-frei-ist-der-wille-des-menschen-wirklich–23549026